Deutscher Künstlerbund e.V.


Nezaket Ekici, Papa's Poem, 2016
Videostill: Branka Pavlovic
© Nezaket Ekici

Santiago Sierra, 697 State Crimes, 2018
Videodokumentation, 1:1 Center for Arts and Politics, Tel Aviv, Israel
© Santiago Sierra

Wolfram Kastner, Schüttbild: Blutspur 1, 2016
© Wolfram Kastner/VG Bild-Kunst Bonn, 2022

Ausstellungsansicht »Affecting Memory«, Deutscher Künstlerbund
Foto © Deutscher Künstlerbund 2022

Cécile Belmont, The same piece of land under our feet, 2011, © Cécile Belmont; Ute Reeh, In Zeichnung, 2022, © Ute Reeh / VG Bild-Kunst Bonn 2022
Ausstellungsansicht »Affecting Memory«, Deutscher Künstlerbund
Foto © Deutscher Künstlerbund 2022

Roberto Uribe, Dibujos del caucho no. 1, 2022, © Roberto Uribe; Cécile Belmont, The same piece of land under our feet, 2011, © Cécile Belmont
Ausstellungsansicht »Affecting Memory«, Deutscher Künstlerbund
Foto © Deutscher Künstlerbund 2022        

Maya Saravia, TT, 2018, We Dance to Remember, 2018, Fábio (Praça Luís de Camões), 2018, André (Praça Luís de Camões), 2018, Dino (Parque das Nações), 2018, Bruna (Rua Augusta), 2018, © Maya Saravia
17.06.2022 bis 09.09.2022
Ausstellung

Affecting Memory

Cécile Belmont | Nezaket Ekici | Wolfram Kastner | Margarete Rabow | Ute Reeh | Maya Saravia | Santiago Sierra | Roberto Uribe

> Flyer (download PDF)


Eröffnung
Donnerstag, 16. Juni 2022, 18 Uhr

Begrüßung: Cornelia Rößler, Vorstandssprecherin Deutscher Künstlerbund

Einführung: Oscar Ardila und Stefan Krüskemper, Ausstellungskuratoren

mit Live-Übertragung der Eröffnungsreden per Zoomlink:
https://us06web.zoom.us/j/83805805790?pwd=MWtUSHJiMThxWmNvem9uSXZHTXFqZz09

Meeting-ID: 838 0580 5790
Kenncode: 889229


Kuratorenführung
Donnerstag, 30. Juni 2022 | 17 Uhr
Donnerstag, 21. Juli 2022 | 17 Uhr


Aktionstag
Donnerstag, 01. September 2022 | 17 Uhr - 21 Uhr
Performances mit den Künstler*innen Nezaket Ekici | Wolfram Kastner | Roberto Uribe

Vortrag und Gespräch der Kuratorin und Autorin Paz Guevara, Haus der Kulturen der Welt und Archive in Berlin, mit den Ausstellungskuratoren Oscar Ardila und Stefan Krüskemper (in englischer Sprache)



Reguläre Öffnungszeiten
dienstags bis freitags von 14 bis 18 Uhr und nach Vereinbarung
Sommerschließzeit: 02. bis 12. August 2022


 
Über die Ausstellung

Die Ausstellung »Affecting Memory« gewährt einen Blick auf ausgewählte internationale Positionen der performativen Aktionskunst, die sich mit ihren multiplen Perspektiven radikal von traditionellen Mahn- und Denkmalsvorstellungen lösen.

Gezeigt wird eine performative Gedenkkultur als Bewegung, die sich eigenständig in Form von partizipativen Prozessen, temporären Interventionen und politischen Performances entwickelt hat. Die Frage, wie Kunst gesellschaftlich fruchtbar werden, Heilungsprozesse anstoßen und politisch Einfluss nehmen kann, steht dabei im Fokus der Auseinandersetzung zwischen einer alternativen antifaschistischen Nachkriegsgedenkkultur und der gegenwärtig postkolonial geprägten globalen Gedenkkultur. So werden zu dieser derzeit weitgehend von Trauerarbeit bestimmten Erinnerungskultur Alternativen angeboten, in denen Ironie, Humor und Subversion eine konstruktive und entpolarisierende Rolle spielen, um emotional aufgeladene Problemfelder von Erinnerungen neu zu erschliessen und anders zu denken.

Angesichts der Enttäuschung, die die derzeitig wieder zunehmende Anzahl von Konflikten und Kriegssituationen mit sich bringt, wird offensichtlich, dass viele Aspekte einer nationalen und militaristischen Erinnerungskultur, dringend überdacht werden müssen. Der Kanon an Gedenkzeichen kann inmitten von Polarisierung, Desinformation und weltweit steigenden Spannungen, nur mit Skepsis und Frustration betrachtet werden.

Die acht an der Ausstellung beteiligten Künstler*innen bringen unsere gewohnte Art der Erinnerung »in Bewegung«, wenn sie einerseits auf andere Arten von Emotionen rund um die Konflikte der Vergangenheit abzielen und andererseits typische Repräsentationen von Erinnerung »verändern«, in dem sie andere Materialitäten, andere Körper sowie andere Arten der Aufzeichnung und Übermittlung von Erinnerung anbieten.


Kuratiert von Oscar Ardila und Stefan Krüskemper

Cécile Belmont (FR) verbindet in ihrer künstlerischen Praxis poetische und politische Ebenen über Alltagstechniken. Ob sie Zeichnungen in der Landschaft stickt oder in der Stadt mit Passanten Kleidungsstücke beschriftet, immer geht es ihr um die Kommunikation und den Prozess. Die in der Ausstellung gezeigte Serie von Stickereien und Fotografien erzählt von Erinnerung und Landschaft anhand des Atlantikwalls, einer Befestigungslinie, die von 1942 bis 1944 entlang der europäischen Küste gebaut wurde, um die Landung der Alliierten zu verhindern. In diesen seltsamen Landschaften sind die Narben der Befestigung von der Natur mittlerweile schwer zu unterscheiden. Die Geste des kontemplativen Stickens stellt als Akt des Gedenkens ein besonderes Verhältnis zur Zeit her.

Nezaket Ekici (DE/TR) konzentriert sich in ihren Performances und Installationen auf Themen wie Identität, Religion, Kunstgeschichte und Architektur. Die Ideen für ihre Arbeiten entstammen oft dem Alltagsleben, so auch das Video Papa’s Poem, das die Beschäftigung mit ihrer eigenen Herkunft zeigt. Die Künstlerin bezieht sich hier auf ein Gedicht ihres Vaters Ziya Ekici, das in dessen Gedichtsband Balik Bastan Kokar/Der Fisch stinkt vom Kopf her veröffentlich wurde. Ihr Vater kam 1970 aus der Türkei als Gastarbeiter nach Deutschland. Er holte die Familie drei Jahre später nach. Papa’s Poem stellt traditionelle Begriffen der Kunstgeschichte bezüglich Skulptur und Mahnmal als festes und dauerhaftes Objekt in Frage. Damit wird Bildhauerei sowie Gedenkkultur als ein flexibler Gestaltungsprozess gezeigt, der sowohl Objekte (Denkmäler) wie auch Individuen (persönliche Positionierungen) ständig »modelliert«. 

Wolfram Kastner (DE) setzt sich öffentlich wahrnehmbar mit deutscher Geschichte, der Präsenz und den Nachwirkungen von NS-Verbrechen auseinander. Seine Aktionen provozieren Diskussionen, Nachdenken, Widerspruch – und oft juristische Prozesse, in denen es auch um die Frage geht, was Kunst ist und darf. Eine Aktion, die seit Jahren als soziale Skulptur stattfindet, richtet sich gegen das Ehrenkreuz für den zum Tode verurteilten NS-Hauptkriegsverbrecher Alfred Jodl auf der Fraueninsel im Chiemsee. Jodl war verantwortlich für die Ermordung von Millionen Zivilpersonen und Kriegsgefangene. Kastners künstlerische Interventionen loten das aktuelle Geschichtsbewusstsein, auch von Politik und Justiz, die »Freiheit der Kunst« und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums im öffentlichen Raum aus.

 

Margarete Rabow (DE) verbindet in ihrer Arbeit über das KZ Katzbach performative und filmische Elemente. Im Mai 2014 wurden die 528 Namen der Todesopfer des Lagers, die auf dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben wurden, mit Schulkreide auf eine Straße mitten in der Stadt geschrieben. Anschließend wurde ein 37sekündiger 16mm Film erstellt, wobei auf jedem Frame ein Name abgebildet ist. Durch die physische Verdichtung wurden die schrecklichen Ereignisse auf eindrückliche Weise neu dargestellt.

Ute Reehs (DE) Arbeit beschäftigt sich mit der Komplexität von Prozessen. Sie umfasst Zeichnungen, Performances, Videos, Skulpturen im öffentlichen Raum. 2014 erfand sie das Zentrum für Peripherie. Für ihre Arbeitsweise entscheidend sind Wechselwirkungen zwischen physischer Präsenz, eigenen Wahrnehmungen, dem sozialen Miteinander, der Form von Veränderungsprozessen. In ihren Zeichnungen erkundet die Künstlerin zeichnend die Systeme, in denen wir leben. In den in der Ausstellung präsentierten Arbeiten lassen sich kommunikative Dynamiken und Wahrnehmungen der Gedenkkultur finden. Im Gegensatz zu der Vorstellung von Gedenkkultur als etwas Festes und Unveränderbares verweist ihre Arbeit auf sehr komplexe Prozesse des Miteinanders.

Maya Saravia (GT) konzentriert sich in ihren Arbeiten auf die Bedeutung des Tanzes im Zusammenhang mit der bildenden Kunst und der Erinnerung. Im Ausstellungsbeitrag sind die Tanznotationen Transkription der Schritte von Straßentänzern aus den ehemaligen portugiesischen Kolonien in Lissabon, mit denen sie zusammengearbeitet hat. Für wen das »Gedächtnis« geschrieben wird, wie wir es in sehr unterschiedlichen Kontexten des globalen Nordens und Südens erleben und wiedergeben, steht im Mittelpunkt von Saravias Fragestellung. Der Körper und die Tanzschritte als performative und uralte Form der »lebendigen« Vermittlung von Gedächtnis und der kulturellen Identität werden den westlich anmutenden schriftlichen Formen der Erinnerung gegenübergestellt. 

Santiago Sierra (ES) hinterfragt in seinem Werk 697 CRIMES OF STATE die aktuelle Bedeutung des Gedenkens an die Opfer von langfristigen bewaffneten Konflikten auf globaler Ebene. Während der etwa einstündigen Aktion wurden die Namen der Opfer des israelisch-palästinensischen Konflikts, die zwischen dem 26. Juli 2014 und dem 30. August 2018 ums Leben gekommen sind, laut gerufen. Das ist ein künstlerisches Manifest der Präsenz und Flüchtigkeit von Erinnerung und historischen Diskursen in Bezug auf anhaltende und ungelöste Konflikte. Diese Arbeit ist die Fortsetzung der Aktion 2205 CRIMES OF STATE, die sich auf die bei einem israelischen Angriff auf den Gazastreifen im Jahr 2014 getöteten Personen bezieht.

Roberto Uribe (CO) nimmt kritisch Bezug auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands und Europa. Dazu greift er auf archiviertes Fotomaterial über die Ausbeutung von Kautschukarbeiter in afrikanischen Ländern sowie im Amazonasgebiet zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zurück. Uribe verleiht dem Archivmaterial eine weitere Materialität, wenn er die Bilder aus Gummiabfällen von Autoreifen auf Glasscheiben als Metapher für öffentliche Zirkulation und Transparenz in Bezug auf die Vergangenheit neu bearbeitet. Ergänzend zeigt ein Video die im öffentlichen Raum stattgefundene Aktion Vogelperspektive. Hier wurden exotische Vogelfedern auf verschiedene Kultureinrichtungen in Köln projiziert, um die Rolle dieser Institutionen bei der Konstruktion von »exotischen« Imaginationen über den globalen Süden zu hinterfragen. 





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